Stellungnahmen

Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung zum Inkassorecht

1 | ABSTRACT

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages befasst sich mit dem Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften“.

Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll das Inkassorecht verbraucherfreundlich weiterentwickelt werden. Änderungen sind dabei vor allem bei den Inkassokosten, den Informationspflichten der Inkassodienstleister gegenüber Verbrauchern und den Befugnissen und Zuständigkeiten der Aufsicht vorgesehen.

Ferner sollen durch den Gesetzentwurf verfassungsrechtliche Grundsätze durchgesetzt werden. So sollen gesetzgeberische Versäumnisse der Vergangenheit korrigiert werden, indem die verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Inkassodienstleistern und Rechtsanwälten im Forderungseinzug (so zum Beispiel im Kostenrecht) aufgehoben wird.

Die Bundesregierung geht laut Gesetzentwurf davon aus, dass die Umsätze der Inkassodienstleister durch das Gesetz um rund 20 Prozent zurückgehen werden. Demgegenüber beziffert der Nationale Normenkontrollrat die Umsatzeinbußen in einer Größenordnung von bis zu 30 Prozent.

Selbst bei Zugrundelegung der viel zu niedrig angesetzten Prognose der Bundesregierung wäre die Inkassobranche, insbesondere die große Zahl der dort tätigen kleinen und mittleren Unternehmen, existentiell bedroht.

Der Gesetzentwurf ist in seiner aktuellen Form daher unausgewogen.

Außerdem gerät der Gesetzgeber in offensichtliche Wertungswidersprüche zu zeitgleich laufenden Gesetzgebungsverfahren. Den jüngst vorgestellten Entwurf des „Gesetzes zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts“ begründet das BMJV einerseits völlig zu Recht mit den erheblich gestiegenen Kosten der professionellen Rechtsberatung, hervorgerufen durch die Entwicklungen im Bereich der Sach- und Personalkosten.

Im Interesse einer Teilhabe der rechtsberatenden Berufe an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung hält das zuständige Ministerium deshalb eine Anhebung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung und der Gerichtskosten für zwingend nötig. Ausdrückliches Ziel ist hierbei auch die Stärkung der außergerichtlichen Einigung und eine Entlastung der Justiz.

Andererseits bürdet der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht den rechtsberatenden Berufen aus Anwaltschaft und Rechtsdienstleistern zusätzlich weitgehende Informations- und Beratungspflichten, damit also neue Kosten auf, reduziert jedoch gleichzeitig die wirtschaftlichen Einnahmen dramatisch.

Betrachtet man die Ziele und Wertungen des Gesetzgebers in dieser Legislaturperiode, so entbehren die Gebührenabsenkungen in ihrer drastischen Gesamtdimension einer tragfähigen Rechtfertigung und sind daher im von der Bundesregierung beschlossenen Umfang klar unverhältnismäßig.

Diese Unausgewogenheit und die Wertungswidersprüche werden ohne Änderungen in der Struktur, mindestens aber in wichtigen Einzelaspekten des Gesetzes zu Fortentwicklung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht nicht aufgelöst werden können.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben nun Gelegenheit, berechtigte verbraucherpolitische Ziele des Gesetzgebers und die legitimen Interessen der Wirtschaft in Einklang zu bringen sowie die Kohärenz des gesetzgeberischen Handelns wiederherzustellen.

Ein vernünftiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen ist möglich. Er setzt aber voraus, dass der Gesetzgeber die nicht statthafte Gleichsetzung von Schuldnern und Verbrauchern aufgibt und stattdessen die beiden Gruppen von Schuldnern in den Fokus nimmt, die es zu unterscheiden gilt.

Denn der Schlüssel zu einem fairen Gesetz ist Differenziertheit:

  • Zum einen sind da kooperative bzw. konstruktive Schuldner.
  • Zum anderen die obstruktiven Schuldner.

Eine besondere Schutzwürdigkeit im Sinne einer zusätzlichen, verbraucherpolitisch begründeten Privilegierung kann, wenn überhaupt, nur bei der Gruppe der kooperativen Schuldner bestehen. Daher sollte der Gesetzgeber:

  1. Die kategorische Privilegierung aller Schuldner, die auf das erste Inkassoschreiben hin umfassend leisten, auf Inkassofälle gegen Privatpersonen beschränken, denen vor Einschaltung des Rechtsdienstleisters keine Gläubigermahnung übermittelt wurde. So würde niemand mehr von einer kostenintensiven Inkassomahnung überrascht. Privatpersonen, die bereits Gläubigermahnungen ignoriert haben, würden nicht geschützt.
  2. Die weiteren Gebühreneinschränkungen außerhalb der von der Bundesregierung definierten besonderen Schutzbereiche (Regelung für Kleinstforderungen/Privilegierung von schutzwürdigen Schuldnern, die auf das erste Inkassoschreiben hin leisten) aufheben.
  3. Die ermäßigte Einigungsgebühr (1000 VV RVG) bei reinen Zahlungsvereinbarungen nur dann zur Anwendung zu bringen, wenn Schuldner die getroffene Zahlungsvereinbarung pflichtgemäß einhalten. Schuldner, die eine Zahlungsvereinbarung freien Willens schließen, aber erneut vertrags- und pflichtwidrig handeln, sollten nicht privilegiert werden.
  4. An der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung von Rechtsdienstleistern und Rechtsanwälten bei der Erbringung von Inkassodienstleistungen ausdrücklich festhalten.

II | FAIRE INKASSOVERGÜTUNG IM EINKLANG MIT VERBRAUCHERPOLITISCHEN ZIELEN

Kern des Gesetzentwurfs sind die drastischen kostenrechtlichen Anpassungen im Bereich des anwaltlichen Gebührenrechts. Diese Anpassungen sind zu Recht Ziel massiver substantiierter Kritik nicht nur der Vertreter der rechtsberatenden Berufe aus Inkasso und Anwaltschaft, sondern insbesondere auch von Wirtschafts- und Gläubigerverbänden.

A) KOSTENABSENKUNG IST IN AKTUELLER FORM UNVERHÄLTNISMÄßIG

Auch wenn Inkassodienstleister ihre Vergütung theoretisch frei mit ihren Auftraggebern vereinbaren dürfen (Binnenverhältnis) und das anwaltliche Gebührenrecht lediglich die Höchstsätze dessen festlegt, was Schuldner aufgrund der Schadensersatzpflicht an Rechtsverfolgungskosten des Gläubigers zu erstatten haben (Erstattungsverhältnis), stellt die laufende Regulierungsrunde durch marktwirtschaftliche Zusammenhänge und Zwänge faktisch eine direkte Regulierung des „Preises“ der Inkassodienstleistung dar.

Die drastische Absenkung der erstattungsfähigen Inkassokosten des Gläubigers kommt dabei einer Abkehr vom Grundsatz der Naturalrestitution (Verursacherprinzip im Schadensersatz) gleich und wird das System des Forderungseinzugs nachhaltig schwächen.

Kein Gläubiger wird dazu bereit sein, notwendige und angemessene Rechtsverfolgungskosten selbst zu tragen, für deren Entstehen zwar allein der Zahlungsverzug seines Schuldners verantwortlich ist, die aber nicht länger erstattungsfähig sind.

Zwar sind BMJV, Nationaler Normenkontrollrat und BDIU uneins hinsichtlich der Höhe der exakten Reduzierung der erstattungsfähigen Rechtsverfolgungskosten bzw. in der Folge der Einnahmeausfälle für die Inkassobranche: Dass sich die Kostenreduzierungen, die mit dem Gesetzentwurf verfolgt werden, direkt und massiv auf die Einnahmen der Inkassodienstleister auswirken werden, bestreitet aber kein Beteiligter.

Dissens besteht allenfalls im Hinblick darauf, ob die Umsätze durch das neue Gesetz in der aktuellen Form in einer Größenordnung von 20 oder doch eher 30 Prozent einbrechen werden.

Selbst die vom BMJV mit 20 Prozent sehr zurückhaltend bezifferten Umsatzeinbrüche würden die Inkassobranche und den Forderungseinzug existenziell bedrohen.

Nur eine sehr kleine Minderheit der Inkassounternehmen erwirtschaftet Umsatzrenditen in einer Größenordnung, die es erlauben würde, Einbußen auch nur in Höhe der zu defensiven BMJV-Schätzung abfedern zu können.

Das bedeutet: Würde das Gesetz vom Deutschen Bundestag in der jetzigen Form beschlossen, wären viele Inkassounternehmen existenziell gefährdet. Gerade Kleinstunternehmen (25 Prozent der Inkassounternehmen laut Branchenstudie des BDIU), kleine (65 Prozent) und mittlere Unternehmen (7 Prozent), denen insgesamt der wirtschaftliche Spielraum zur Kompensation der Eingriffe fehlt, wären akut in ihrer Existenz bedroht. Aber auch große Unternehmen (3 Prozent) wären aufgrund der vorgeschlagenen Kostenregulierung zu tiefgreifenden Rationalisierungen gezwungen.

Leidtragende des Gesetzes wären nicht nur die Inkassounternehmen und ihre rund 20.000 Mitarbeiter. Rationalisierungen im Inkassoprozess und die damit wohl einhergehenden Beeinträchtigungen beim Einzug gerade kleinerer Forderungen würden auch die halbe Million Auftraggeber aus allen Teilen der Wirtschaft, vorrangig aber aus Einzel- und Onlinehandel, empfindlich treffen, von deren Hauptforderungen die Branche zuletzt sechs Milliarden Euro pro Jahr realisierte.

Kaum vorstellbar ist, dass Inkassounternehmen weiterhin über 80 Prozent der Forderungen mit großem Aufwand ausschließlich außergerichtlich bearbeiten und lösen können. Bei Einnahmeausfällen von 20 bis 30 Prozent vorrangig im außergerichtlichen Bereich müssten die Arbeitsroutinen und Aufwände außergerichtlich reduziert werden. In der Folge würden deutlich mehr Fälle in das für alle Parteien, hauptsächlich aber für den Schuldner, deutlich kosten- und arbeitsintensivere gerichtliche Mahnverfahren übergeben werden.

In der aktuellen Form würde das Gesetz daher das etablierte System des Forderungseinzugs beschädigen.

Derartig gravierende Gesetzesänderungen verlangen nach einer tragfähigen Rechtfertigung bzw. Begründung. Andernfalls scheitern sie bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung bereits mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Allerdings offenbart der Gesetzentwurf gerade bei der Begründung der Eingriffe im Bereich des Kostenrechts eklatante Schwächen. Die Thesen des Gesetzgebers fußen auf empirisch wie methodisch nachgewiesenermaßen haltlosen Aussagen von Interessenvertretern des Verbraucher- und Schuldnerschutzes. Das und medial skandalisierte Einzelfälle mögen eine Handlungsnotwendigkeit auf emotionaler Ebene suggerieren – mehr aber auch nicht.

Über die bloße Behauptung, die Inkassokosten seien „im Verhältnis zum Aufwand zumeist als deutlich zu hoch anzusehen“, kommt der Regierungsentwurf nicht hinaus. Die Begründung des Gesetzentwurfs lässt an keiner Stelle erkennen, dass der Behauptung eine wissenschaftliche Evaluation des Aufwandes zugrunde liegt, der Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern im Rahmen ihrer Tätigkeit tatsächlich entsteht.

Letztlich beruhen die Begründung des Gesetzes und die Behauptung, Inkassokosten seien „zu hoch“, ausschließlich auf einer nicht einmal grundlegenden statistischen Grundsätzen genügenden „Studie“ und einer falsch programmierten Onlineplattform von Verbraucherorganisationen. Weder „Studie“ noch Onlineplattform enthalten übrigens Aussagen zur tatsächlichen Höhe des Aufwands.

Der Abschlussbericht des Instituts für Finanzdienstleistungen (iff) zur Evaluation der letzten Inkassoregulierung aus dem Jahr 2013 musste vor Abnahme durch das BMJV insgesamt dreimal korrigiert werden. Neben Kritik an formalen Aspekten hatte das BMJV begründete Zweifel, ob die für die Erstellung des Gutachtens zugrunde gelegte Rechtslage überhaupt zutreffend dargestellt ist. Dies hat das BMJV auf eine schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick im Plenum des Deutschen Bundestages eingeräumt.

Doch selbst drei Korrekturläufe vor Abnahme konnten die Evaluation nicht retten. Die methodischen Unzulänglichkeiten und die Fehlerhaftigkeit der darauf aufbauenden empirischen Befunde des Gutachtens des iff sind längst auch wissenschaftlich analysiert und herausgestellt worden.

Was verbleibt, sind politische Forderungen der Verbraucherzentralen, die auf dem von ihnen selbst entwickelten Online-Tool „Inkasso-Check“ basieren. Diese stehen schon empirisch auf sehr wackeligen Füßen, handelt es sich bei dem Tool doch um Selbstevaluationen durch Schuldner.

Berücksichtigt man weiter, dass das Tool Gebührensätze von 0,9 oder höher als überhöht betrachtet, während selbst der Regierungsentwurf diese typischerweise als legitim ansieht, wird mehr als deutlich, dass auch die aus dem Tool abgeleiteten Behauptungen der Verbraucherzentralen wenig Substanz haben.

Folgerichtig trägt daher auch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) die vom BDIU im laufenden Verfahren an vielen Stellen geäußerte Kritik vor, dass der gesamte Regierungsentwurf nicht auf einer gesicherten Datenbasis beruht.

Diese aus dem Mangel an echter Empirie resultierende Unschärfe zieht sich durch wesentliche Teile der Gesetzesbegründung.

In den Worten der BRAK ist das „leicht erkennbar insbesondere an schwammigen Formulierungen wie ‚vermutlich‘, ‚es ist davon auszugehen, dass‘, ‚in vielen Fällen‘, ‚viele Schuldner‘ etc.“

Der Entwurf bleibt mithin jede angemessene Begründung für eine Regulierung schuldig, die nicht nur eine ganze Branche existentiell gefährdet, sondern auch wesentlichen Teilen der Wirtschaft die Möglichkeit der effizienten außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung nimmt.

Ob derart tiefgreifende staatliche Eingriffe in die berufliche Freiheit der Inkassodienstleister einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten können, ist in Anbetracht der mangelhaften Begründung zweifelhaft.

B) NACHJUSTIERUNGSBEDARF IM BEREICH DES KOSTENRECHTS

Gerade vor dem Hintergrund des oben Ausgeführten muss der Gesetzgeber die kostenrelevanten Teile des Gesetzentwurfs im Interesse der Wirtschaft nachjustieren, aber auch im Interesse der Gesamtheit der Verbraucher, von denen nur ein kleiner Teil zugleich auch Schuldner ist.

Das ist möglich, ohne die Lösung der aus Sicht von Politik und Verbraucherschutz definierten Konfliktfelder zu verwässern oder zu verzögern.

Im Folgenden werden die Passagen des Entwurfs aufgeführt, an denen der Gesetzgeber nachbessern kann, ohne den echten verbraucherpolitischen Mehrwert des Gesetzentwurfs zu gefährden.

Vorrangig regen wir Anpassungen an § 13 Absatz 2 RVG-E und der Nummer 2300 VV RVG-E an.

a) Privilegierung für Vollzahler auf das erste Inkassoschreiben

Die Bundesregierung schlägt vor: In Nummer 2300 VV RVG wird in der Anmerkung der folgende Absatz 2 angefügt: „(2) Ist Gegenstand der Tätigkeit eine Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betrifft, kann eine Gebühr von mehr als 1,0 nur gefordert werden, wenn die Inkassodienstleistung besonders umfangreich oder besonders schwierig war. In einfachen Fällen kann nur eine Gebühr von 0,5 gefordert werden; ein einfacher Fall liegt in der Regel vor, wenn die Forderung auf die erste Zahlungsaufforderung hin beglichen wird. Der Gebührensatz beträgt höchstens 1,3.“

Die Bundesregierung möchte das vom Gesetzgeber und von Verbraucherschützern vorgebrachte Problem lösen, dass Schuldner in Ausnahmefällen ohne vorherige Mahnung durch den Gläubiger ein Inkassoschreiben erhalten, mit dem hohe zusätzliche Kosten einhergehen. Durch die Reduzierung der erstattungsfähigen Gebühr auf das im RVG überhaupt Mögliche sollen Schuldner die Chance erhalten, eine Forderung verhältnismäßig kostengünstig zu begleichen.

Das ist nachvollziehbar, die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung schießt allerdings in dreierlei Hinsicht weit über das Ziel hinaus.

  1. Die reduzierte Gebühr im Erstschreiben würde für alle unbestrittenen Inkassoforderungen gelten. Also jeden Schuldner privilegieren. Die Empirie (Appendix, Diagramm 3 „Verzugsdauer vor Übergabe ins Inkasso“) zeigt aber, dass Schuldner nur in seltenen Ausnahmefällen ein Inkassoschreiben erhalten, ohne zuvor durch den Gläubiger gemahnt worden zu sein. Der typische Inkassoschuldner hat vom Gläubiger bereits ein Zahlungsziel von einem Monat erhalten, war danach schon zwei bis drei Monate im Verzug und hat darüber hinaus auf zwei bis drei Mahnungen durch den Gläubiger nicht reagiert.Die Regelung schießt somit weit über das eigentliche Regelungsziel hinaus. Eine Privilegierung des obstruktiven Schuldners, der bewusst im Zahlungsverzug verweilt und konsequent Mahnungen des Gläubigers ignoriert, lässt sich auch nicht mit dem Ziel des Schuldnerschutzes rechtfertigen.
  2. Im Zusammenwirken mit der Kleinstforderungsregelung des § 13 Absatz 2 RVG (nachfolgender Punkt b) wird die Inkassogebühr bei Forderungen bis 50 Euro (23 Prozent der Fälle) im ersten Inkassoschreiben gegenüber der geltenden Rechtslage faktisch auf eine 0,3-Gebühr gedeckelt. Die Bundesregierung ist eine Antwort darauf schuldig geblieben, wie sie dies mit ihrer gut begründeten Ansicht vereinbaren kann, „dass sich Aufträge für Inkassotätigkeiten nahezu niemals darauf beschränken, ein einzelnes einfaches Schreiben im Sinne der Nummer 2301 VV RVG zu fertigen, wofür das Gesetz nur eine Gebühr mit einem Gebührensatz von 0,3 vorsieht.“ Auch die 0,5-Gebühr für das Erstschreiben deckt den tatsächlichen Arbeitsaufwand der Inkassodienstleister nicht mehr ab und muss deshalb angehoben werden.
  3. Völlig unverständlich und im Widerspruch schon zum Namen des Gesetzes, vor allem aber zur EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, wird die rein verbraucherpolitisch begründete Privilegierung im ersten Mahnschreiben nicht auf Verbraucher/Privatschuldner (B2C) beschränkt, sondern betrifft auch Unternehmensschuldner (B2B-Forderungen). Das EU-Recht spricht Gläubigern von Schuldnern, die Unternehmer sind, aber einen pauschalen Erstattungsanspruch für Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 40 Euro zu.

Reduzierte Inkassokosten im Erstschreiben nur bei Erforderlichkeit!

Zunächst ist die Regelung auf die Fälle der §§ 286 Abs. 2 und 3 BGB zu beschränken, in denen es an einer Gläubigermahnung fehlt. Vor dem Hintergrund der EU-Verzugsrichtlinie ist die Regelung auch auf B2C-Fälle zu beschränken. Ferner sollte der maximal erstattungsfähige Gebührensatz gegenüber dem Regierungsentwurf angehoben werden, um den Charakter der Geschäftsgebühr als Rahmengebühr nicht zu verändern. Deshalb sollte in jedem Fall ein Gebührenrahmen zur Verfügung stehen, der es erlaubt zu berücksichtigen, ob vor der Erstmahnung oder nach deren Zugang ein besonderer Aufwand erforderlich war (Adressermittlung, Nachfragen, Erörterungen zur Forderung, Übersendung von Unterlagen etc.).

Anpassungen in der skizzierten Form würden im Übrigen auch den im Gesetzentwurf neu vorgesehenen § 288 Absatz 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Entwurfsfassung (BGB-E) überflüssig machen, der neben den Kostenabsenkungen im Hauptfokus der Kritik der Wirtschaft steht.

Dass Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber einem Unternehmen wegen der Verzögerung der Leistung nur noch dann zum Ersatz der Kosten eines Inkassodienstleisters beziehungsweise eines Rechtsanwalts verpflichtet sein sollen, wenn sie vom Unternehmer rechtzeitig auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden sind, stellt eine Abkehr vom Leitbild des mündigen Verbrauchers dar und bricht mit dem Verursacherprinzip im Schadensersatz.

Durch die von uns vorgeschlagene Regelung wäre durch minimalinvasive Eingriffe in das Gesetz wie in die Sphäre der Gläubiger ebenfalls sichergestellt, dass jeder Schuldner eine kostenfreie Gläubigermahnung oder sehr kostengünstige (durch Privilegierung im Erstschreiben des Inkassodienstleisters, wenn keine Gläubigermahnung erfolgt ist) Zahlungserinnerung erhält.

b) Kleinstforderungsregelung des § 13 Absatz 2 RVG-E

Die Bundesregierung schlägt vor:

§ 13 RVG soll um folgenden Absatz 2 ergänzt werden: „(2) Bei der Geschäftsgebühr für eine außergerichtliche Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betrifft (Absatz 2 der Anmerkung zu Nummer 2300 des Vergütungsverzeichnisses), beträgt bei einem Gegenstandswert bis 50 Euro die Gebühr abweichend von Absatz 1 Satz 1 30 Euro.“

Die Kleinstforderungsregelung ist nur wirtschaftlich darstellbar, wenn an anderer Stelle Raum für Kompensation verbleibt.

Zwar löst sie für sich genommen das vom Gesetzgeber benannte verbraucherpolitische Problem des optischen Missverhältnisses zwischen Hauptforderung und Inkassokosten. Die Inkassounternehmen als Rechtsdienstleister und die Gläubiger können eine solche Regelung allerdings nur dann wirtschaftlich verkraften, wenn außerhalb dieses besonderen Schutzbereichs Raum für Kompensationen erhalten bleibt und so insgesamt ein Ausgleich der Interessen erfolgt.

Schon für sich genommen stellt die Kleinstforderungsregelung eine außerordentlich große Belastung für Gläubiger und Inkasso-Unternehmen dar. Betroffen ist fast jede vierte Forderung (Appendix, Diagramm 4 „Forderungsstruktur der Inkassodienstleister“).

Durch die Regelung wird also die Inkassovergütung für jede vierte Forderung um 49 Prozent abgesenkt, im Zusammenwirken mit der Privilegierung im Erstschreiben sogar um bis zu 74 Prozent (siehe Appendix Tabelle 1: Im RegE vorgeschlagene Gebührenabsenkung).

Solange zusätzlich zur Kleinstforderungsregelung auch weitere drastische Gebührenreduzierungen, insbesondere die Privilegierung im Erstschreiben, vorgesehen sind, kann die Regelung wirtschaftlich nicht verkraftbar sein.

Ob Gläubigern durch das Zusammenwirken der beiden Regulierungsätze eine Inkassodienstleistung bei Kleinforderungen weiter im bisherigen Umfang angeboten werden kann, ist höchst zweifelhaft. Das hätte fatale Folgen für die Zahlungsmoral.

Kleinstforderungsregelung nur, wenn Raum für Kompensation verbleibt!

Die Kleinstforderungsregelung für sich genommen löst das verbraucherpolitische Problem des optischen Missverhältnisses zwischen Hauptforderung und Inkassokosten.

Die Regelung muss aber wirtschaftlich kompensierbar sein. Das ist nur möglich, wenn außerhalb des besonderen Schutzbereichs Raum für Kompensationen erhalten bleibt und so insgesamt ein Ausgleich der Interessen erfolgt.

So kann die Regelung angemessen und begründbar erscheinen und Akzeptanz finden.

c) Absenkung der Maximalgebühr

Die Bundesregierung schlägt vor:

In Nummer 2300 VV RVG soll in der Anmerkung der folgende Absatz 2 angefügt werdet:

„(2) Ist Gegenstand der Tätigkeit eine Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betrifft, kann eine Gebühr von mehr als 1,0 nur gefordert werden, wenn die Inkassodienstleistung besonders umfangreich oder besonders schwierig war. In einfachen Fällen kann nur eine Gebühr von 0,5 gefordert werden; ein einfacher Fall liegt in der Regel vor, wenn die Forderung auf die erste Zahlungsaufforderung hin beglichen wird. Der Gebührensatz beträgt höchstens 1,3.

Dass zu den benannten Schutzbereichen (Privilegierung im Erstschreiben und Kleinforderungsregelung) noch weitere Gebührenabsenkungen vorgesehen werden, entbehrt jeder nachvollziehbaren Begründung und würde Inkassodienstleistern die notwendige Flexibilität nehmen, um die verbraucherpolitisch gewollten Gebührenabsenkungen zu kompensieren, die Leistungsfähigkeit des Inkassos aufrechtzuerhalten und die Kosten der vielen langwierigen Verfahren zu decken.

Dass innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 2300 VV RVG nun zweifach mittels Schwellengebühr differenziert wird (0,5 im Erstschreiben und 1,0, wenn der Fall nicht besonders schwierig und aufwendig ist), verkompliziert das Gebührenrecht zusätzlich und wird für Rechtsunsicherheit aufseiten der Verbraucher und Intransparenz sorgen.

Daher sollte von zusätzlichen Gebühreneinschränkungen außerhalb der von der Bundesregierung definierten besonderen Schutzbereiche (Regelung für Kleinstforderungen/Privilegierung von Schuldnern, die auf das erste Inkassoschreiben hin leisten) abgesehen werden.

Außerhalb der besonderen Schutzbereiche sollte daher das bestehende Gebührenrecht der Nr. 2300 VV RVG weiter gelten: Erstattungsfähige Inkassokosten in der Höhe, die auch ein mit dem Forderungseinzug beauftragter Rechtsanwalt verlangen darf (bis zur 1,3-Gebühr), und in begründeten Ausnahmefällen höchstens eine 2,5-Gebühr.

So können die verbraucherpolitischen Ziele erreicht werden, ohne die Funktionalität der Inkassobranche zu gefährden und ohne die berechtigten Gläubigerinteressen zu vernachlässigen.

Streichung der unbegründeten zusätzlichen Schwellengebühr!

Streichung der zusätzlichen Gebühreneinschränkungen außerhalb der von der Bundesregierung definierten besonderen Schutzbereiche (Regelung für Kleinstforderungen/Privilegierung von Schuldnern, die auf das erste Inkassoschreiben hin leisten).

d) Halbierung der statthaften Einigungsgebühr setzt Fehlanreize.

Die Bundesregierung schlägt vor:

Nummer 1000 VV RVG soll wie folgt gefasst werden:

1000 - Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags

1. durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird - 1,5

2. durch den die Erfüllung des Anspruchs geregelt wird bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf seine gerichtliche Geltendmachung oder, wenn bereits ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vorliegt, bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen (Zahlungsvereinbarung) - 0,7

(1) Die Gebühr entsteht nicht, wenn sich der Vertrag ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt. Im Privatklageverfahren ist Nummer 4147 anzuwenden.

(2) Die Gebühr entsteht auch für die Mitwirkung bei Vertragsverhandlungen, es sei denn, dass diese für den Abschluss des Vertrags im Sinne dieser Vorschrift nicht ursächlich war.

(3) Für die Mitwirkung bei einem unter einer aufschiebenden Bedingung oder unter dem Vorbehalt des Widerrufs geschlossenen Vertrag entsteht die Gebühr, wenn die Bedingung eingetreten ist oder der Vertrag nicht mehr widerrufen werden kann.

(4) Bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts entsteht die Gebühr, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann. Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 sind anzuwenden.

(5) Die Gebühr entsteht nicht in Ehesachen und in Lebenspartnerschaftssachen (§ 269 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FamFG). Wird ein Vertrag, insbesondere über den Unterhalt, im Hinblick auf die in Satz 1 genannten Verfahren geschlossen, bleibt der Wert dieser Verfahren bei der Berechnung der Gebühr außer Betracht. In Kindschaftssachen entsteht die Gebühr auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann. Absatz 1 Satz 1 ist entsprechend anzuwenden. 

Die Regelung im Regierungsentwurf zur Einigungsgebühr widerspricht allen bisher weithin anerkannten Zwecken und der allgemeinen Erkenntnis, dass eine gütliche Einigung gegenüber einer Titulierung nicht nur ein höheres Risiko, sondern auch einen höheren Aufwand begründet.

Die gütliche Einigung ist ein Kernelement des modernen Rechtsstaates, der nicht nur nach Gerechtigkeit strebt, was die sofortige Vollzahlung durch den Schuldner begründen würde, sondern auch Rechtssicherheit und Rechtsfrieden als zentrale Werte kennt.

Deshalb sehen auch alle Verfahrensordnungen vor, dass die Beteiligten in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung bedacht sein sollen. Der Gesetzgeber ist vor diesem Hintergrund gehalten, Anreize für eine gütliche Einigung zu setzen. Die jetzt vorgeschlagene Regelung setzt aber Anreize für eine schnelle Titulierung und Vollstreckung mit in der Summe deutlich höheren Kosten für den Verbraucher.

Insgesamt ist kaum nachvollziehbar, wie es gerechtfertigt sein kann, die Aufwände der Inkassodienstleister und Rechtsanwälte im Forderungseinzug einerseits deutlich zu erhöhen (Informationspflichten, Bekämpfung des Identitätsdiebstahls), andererseits aber die Gegenleistung massiv zu reduzieren.

Besonders deutlich wird das im Bereich der Einigungsgebühr. Hier soll Inkassodienstleister und Rechtsanwälte künftig nicht mehr nur bloß qualifizierte Rechtsberatung für die Mandantschaft/die Gläubiger betreiben. Sie sollen nunmehr auch die Schuldner, mithin also die „Gegenseite“, qualifiziert über die Rechtsfolgen der zwischen Gläubiger/Rechtsdienstleister und Schuldner im freien Einvernehmen zu verhandelnden und abzuschließenden Zahlungsvereinbarungen aufklären.

Ob diese Verpflichtung zur „Gegnerberatung“ auch einer (verfassungs-)rechtlichen Überprüfung standhält, ist mehr als zweifelhaft.

Gebührenrechtlich führt bereits diese faktische Verdopplung des reinen Beratungsaufwands die im Regierungsentwurf angestrebte Halbierung der statthaften Einigungsgebühr ad absurdum.

Jede Zahlungsvereinbarung umfasst selbst in durchschnittlichen Fällen

  • die Evaluation von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit des Schuldners und des Insolvenzrisikos,
  • die konkrete Aushandlung der jeweiligen Vereinbarung mit ganz unterschiedlichen Anforderungen und Aufwänden,
  • die Ermittlung des Sicherungsbedürfnisses des Gläubigers und dessen Berücksichtigung,
  • den Abschluss und die Überwachung der Einhaltung,
  • die Verhandlungen über Moratorien bei unvorhergesehenen Ereignissen beim Schuldner,
  • die Überwachung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Schuldners bei Zahlungsunterbrechungen,
  • regelmäßige Erinnerungen an die getroffene Vereinbarung
  • sowie beispielsweise die Offenlage von Sicherungsabtretungen und die Kommunikation mit dem Drittschuldner.

Eine Zahlungsvereinbarung stellt immer ein Zugeständnis an den Schuldner dar, geht sie doch mit dem Verzicht auf eine gerichtliche Geltendmachung der Forderung einher oder, wenn bereits ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vorliegt, mit dem Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen. In beiden Fällen verbessert sich die finanzielle wie rechtliche Position des Schuldners also erheblich.

Die gütliche Einigung ist ohne jeden Zweifel ein Element des Schuldnerschutzes und der Stärkung der Verbraucherrechte. Der Regierungsentwurf schwächt dieses Instrument nachhaltig.

Für den Gläubiger begründet jede Zahlungsvereinbarung ein zusätzliches Realisierungs- und Insolvenzrisiko, was sich beim Inkassodienstleister in einem erweiterten Haftungsrisiko niederschlägt. Soweit der Inkassodienstleister eine Erfolgsprovision erhält, ist es ihm auch nachteilig, weil sich deren Realisierung verzögert.

Diese Aufwände, Rechtsfolgen und neuen Beratungsaufwände gegenüber dem Schuldner sind mit einer 0,7- Gebühr nicht annähernd abgebildet.

Ermäßigte Einigungsgebühr für Schuldner, die Vereinbarungen erfüllen!

Die Einigungsgebühr (1000 VV RVG) kann bei reinen Zahlungsvereinbarungen auf maximal eine 1,0- Einigungsgebühr ermäßigt werden, wenn der Schuldner die Zahlungsvereinbarung konsequent einhält und die Forderung damit vollständig eingezogen werden kann. Dies kann im Wege eines Ermäßigungstatbestandes erfolgen.

Durch die von uns vorgeschlagene Reduzierung der Einigungsgebühr bei reinen Zahlungsvereinbarungen und konsequentem Zahlungsverhalten wäre eine systemgetreue und angemessene Vergütung für Zahlungsvereinbarungen sichergestellt.

Fehlanreizen für Inkassodienstleister, insbesondere zur frühzeitigen Einleitung des ohnehin für Rechtsdienstleister nun finanziell lukrativeren (und für Schuldner deutlich teureren) gerichtlichen Verfahrens würde effektiv entgegengewirkt. Gleichzeitig wird das Bemühen um eine aufwandsintensive Einigung weiterhin zielführend gefördert.

III | WESENTLICH GLEICHES IST RECHTLICH GLEICH ZU BEHANDELN

„Inkassodienstleistungen, die von Inkassodienstleistern erbracht werden, unterscheiden sich nicht von Inkassodienstleistungen, die Rechtsanwälte erbringen.“

Zu diesem eindeutigen Schluss kamen Bundesregierung und Bundestag in der 18. Legislaturperiode nach eingehender Prüfung der Sachverhalte in der Begründung des Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe (Drucksache 18/9521, S. 271). 

Mit diesem Gesetz hat der Bundestag eine Verordnungsermächtigung aus dem Jahr 2013 aufgehoben, die es dem BMJV ermöglichen sollte, die Ersatzfähigkeit von Inkassokosten durch Höchstsätze zu beschränken. Die Verordnungsermächtigung sollte ausschließlich beim nichtanwaltlichen Forderungseinzug durch Inkassounternehmen gelten, nicht jedoch beim – nach seinerzeit schon eindeutiger Meinung in (höchstrichterlicher) Rechtsprechung und in der Literatur – wesensgleichen anwaltlichen Inkasso.

Grund für die Gesetzesänderung waren denn auch tiefgreifende verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gleichheitsgebot des Artikels 3 GG.

Schon damals fußte die gesetzgeberische Entscheidung nicht nur auf einer breiten (rechts-)politischen Debatte sowie der zutreffenden Analyse der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen. Sie konnte sich auch auf eine lange Tradition höchstrichterlicher Rechtsprechung, insbesondere auf eine Reihe an Urteilen des Bundesverfassungsgerichts stützen.

Der Gesetzgeber hat mithin schon vor Jahren einer Ungleichbehandlung von Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern im Bereich des Forderungseinzugs eine klare und konsequente Absage erteilt. Wenn genau diese Ungleichbehandlung auch heute noch von einigen Akteuren gefordert wird, dann mag dies aus deren Partikularinteresse politisch nachvollziehbar sein. Verfassungsrechtlich oder allgemeinrechtlich haltbar ist eine solche Forderung allerdings nicht.

Leider hat der Gesetzgeber es damals versäumt, dem verfassungsrechtlichen Imperativ des Gleichheitsgebots auch im Bereich des gerichtlichen Forderungseinzugs Wirksamkeit zu verschaffen.

Der BDIU unterstützt vor diesem Hintergrund den Gesetzgeber ausdrücklich in seinem Vorhaben, dem Gleichheitsgebot und der zugehörigen höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Streichung des § 4 Absatz 4 Satz 2 RDGEG Rechnung zu tragen, der de lege lata das anwaltliche gegenüber dem nicht-anwaltlichen Inkasso im gerichtlichen Forderungseinzug ungerechtfertigt privilegiert.

Der klare Wille des Gesetzgebers, dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz unter anderem auch im Bereich des Kostenrechts der Inkassodienstleistungen konsequent Geltung zu verschaffen, stößt aber leider auch in der aktuellen Debatte um das Berufsrecht und das Kostenrecht im Inkasso auf den politischen Widerstand einzelner Akteure.

Je nach zugrundeliegender Interessenlage wird entweder eine deutliche Absenkung, wenn nicht gar die Streichung der erstattungsfähigen außergerichtlichen, vorgerichtlichen oder gerichtlichen Inkassokosten gefordert oder eine Streichung der Möglichkeit, Erfolgshonorare zu vereinbaren.

Die dafür ins Feld geführten Argumente überraschen, sind sie doch komplett aus der Zeit gefallen.

Keinesfalls haben sich der anwaltliche Forderungseinzug und die Inkassotätigkeit der Rechtsdienstleister hinsichtlich ihres Wesensgehalts in den letzten Jahren auseinanderbewegt. Und auch im Bereich der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist keine Kehrtwende hin zu einer getrennten Betrachtung der Dienstleistung zu beobachten, je nachdem, ob sie von Rechtsanwälten oder Inkassounternehmen erbracht wird.

Im Gegenteil: Nicht zuletzt die technische Entwicklung hat den Forderungseinzug noch unabhängiger davon gemacht, wer ihn durchführt. So sind Anwaltskanzleien in der vergangenen Dekade noch stärker zu ernsthaften Wettbewerbern auch großer Inkassodienstleister geworden.

Auch im Mengeninkasso, also in der Bearbeitung großer, nach Zahl, Art und Entstehung ähnlicher Forderungen, sind spezialisierte Anwaltskanzleien und Inkassodienstleister heute auf Augenhöhe. Eine umfassende rechtliche Prüfung der geltend gemachten Forderung auf Schlüssigkeit und Plausibilität wird, in der von Gesetz und Rechtsprechung verlangten Form, von Rechtsanwälten wie Inkassodienstleistern durchgeführt, noch bevor ein erstes Aufforderungs- oder Mahnschreiben an den Schuldner versandt wird.

Auch die weiteren Arbeitsabläufe gleichen sich, egal ob aus Sicht der Gläubiger/Auftraggeber, der Binnensicht des Leistungserbringers, bspw. eines Sachbearbeiters im Forderungseinzug, oder der Schuldnerperspektive betrachtet.

Die Bearbeitung der Forderung wird in keinem Fall davon bestimmt, wie die Zulassung zur Erbringung der Rechtsdienstleistung oder Rechtsberatung aussieht. Ob spezialisierte Anwaltskanzleien oder große Inkassounternehmen: Die einen wie die anderen beschäftigen neben zugelassenen Anwälten und besonders qualifizierten Personen mit juristischer Fachausbildung auch speziell auf die unternehmerischen Anforderungen des Forderungseinzugs hin geschultes Personal.

Dies findet seinen berechtigten Niederschlag auch in der Rechtsprechung: Bis zur Reform des Inkassorechts im Jahr 2013 hatte sich vorrangig das Bundesverfassungsgericht mit der Rechtsberatung und Rechtsdienstleistung im Forderungseinzug beschäftigt. Schon damals stand immer wieder der auch heute erneut unternommene Versuch im Fokus, den Inkassomarkt allein für die Anwaltschaft zugänglich zu machen.

Die jüngste Debatte ist vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ausgefochten worden. Der BGH hat sich in mehreren Urteilen11 und in aller Tiefe mit den Fragen und Argumenten auseinandergesetzt, die einige Akteure nun im Rahmen der laufenden Regulierung auch auf die gesetzgeberische Agenda bringen wollen.

Und er hat all diese Fragen nach durchaus öffentlichkeitswirksamen Verfahren (wenigermiete.de) klar und eindeutig im Sinne der Inkasso- bzw. Rechtsdienstleister und gegen die Verfechter des anwaltlichen Beratungsmonopols im Forderungseinzug beantwortet.

Mit der Zulassung als Rechtsdienstleister nach dem Erlangen der gesetzlich vorgeschriebenen theoretischen und praktischen Sachkunde geht die umfassende Befugnis zur Rechtsberatung und Rechtsdienstleitung im und um den Forderungseinzug einher. Das stand und steht ohnehin außer Frage.

Besonders wichtig zur Einordnung der laufenden Regulierung ist, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung auch verbraucherpolitische Bedenken geprüft hat und unmissverständlich und stringent widerlegt.

Setzt ein Inkassounternehmen „die von ihm verlangte, überprüfte und für genügend befundene Sachkunde bei der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen ein“, so kann der BGH nicht erkennen, „dass damit eine Gefahr für den Rechtsuchenden oder den Rechtsverkehr verbunden sein könnte“.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht den „Schuldnerschutz als Verbraucherschutz“ durch gleiche Kompetenzen im Forderungseinzug zwischen Anwälten und Rechtsdienstleistern jedenfalls nicht gefährdet.

Der deutsche Gesetzgeber verfolgt also spätestens seit dem 2008 in Kraft getretenen Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) eindeutig das Ziel einer grundlegenden, an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichteten Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsberatung, insbesondere des Forderungseinzugs.

Abseits gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Erwägungen, die auch eng mit der hürdenlosen Durchsetzung des Rechts zusammenhängen – im Inkasso konkret mit der effizienten Durchsetzung begründeter Ansprüche auch in der Fläche (Zugang zum Recht) – ist diese gesetzgeberische Festlegung auch Folge verfassungsrechtlicher Imperative, die bereits 2002 und 2004 in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht offenkundig wurden (siehe oben).

Jede Ungleichbehandlung der beiden Dienstleistungen bzw. Dienstleistungserbringer bedürfte einer sehr überzeugenden Begründung, die einer strengen verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten müsste.

Eine Grundlage für eine solche Differenzierung ist aber nicht zu erkennen.

Dass an die Qualifikation von Inkassodienstleistern insgesamt niedrigere Qualifikationsanforderungen gestellt würden als an die von Rechtsanwälten, ist ein klassischer Trugschluss, der auf einem falschen Vergleichsmaßstab fußt und auf falschen Kategorien beruht.

Rechtsanwälte sind Organ der Rechtspflege und können bzw. müssen ihre rechtsuchenden Mandanten grundsätzlich umfassend beraten und vertreten. Für dieses umfassende Beratungsmonopol ist in der Tat eine tiefergehende und umfassende Ausbildung und Qualifikation Voraussetzung.

Inkassodienstleister dagegen dürfen nicht umfassend, sondern ausschließlich in dem Bereich rechtsberatend tätig sein, für den sie nach Nachweis der theoretischen wie praktischen Sachkunde eine staatliche Zulassung erhalten und in dem sie deshalb vergleichbare Kenntnisse aufweisen: im Forderungseinzug, vorgerichtlich, außergerichtlich, aber auch in relevanten Bereichen des gerichtlichen Einzugs.

Unterschiedlich weit reichende Kompetenzen begründen unterschiedliche Anforderungen an das Qualifikationsniveau. Wo, wie im Forderungseinzug, die Kompetenzen und die damit einhergehenden Qualifikationserfordernisse komplett deckungsgleich sind, verbietet sich jede kostenrechtliche oder berufsrechtliche Ungleichbehandlung.

Eine verfassungsrechtlich gut zu begründende Ungleichbehandlung hingegen ist, dass Inkassodienstleister im Gegensatz zu den Anwälten, die aufgrund ihrer Qualifikation nach staatlicher Prüfung Organ der Rechtspflege sind, mit ihren Mandanten Erfolgshonorare vereinbaren können. Selbstverständlich stellt diese Ungleichbehandlung einen Eingriff in den Gleichheitssatz dar. Dieser Eingriff ist aber begründet, gerechtfertigt und verhältnismäßig.

Als Organe der Rechtspflege genießen Rechtsanwälte weitreichende Privilegien. Gerade wegen dieses Status‘ gilt es die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte von ihren Mandanten in besonderer Weise zu schützen. Nur deshalb wird den Rechtsanwälten das Erfolgshonorar derzeit verwehrt. Auch dazu hat sich jüngst der BGH gleichlaufend geäußert:

„Die gegenteilige Auffassung der Revision lässt außer Betracht, dass es sich bei den registrierten Inkassodienstleistern - im Gegensatz zu Rechtsanwälten - nicht um Organe der Rechtspflege handelt (BT-Drucks. 16/3655, S. 67). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Rechtsdienstleistungsgesetzes und auch bei dessen späteren Änderungen und Ergänzungen (siehe hierzu nur BT-Drucks. 17/14216, S. 5) davon abgesehen hat, die registrierten Personen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 RDG), insbesondere die Inkassodienstleister (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG), als einen rechtsanwaltsähnlichen Rechtsdienstleistungsberuf unterhalb der Rechtsanwaltschaft auszugestalten (vgl. BTDrucks. 16/3655, S. 31 ff.) und/oder die für Rechtsanwälte geltenden strengen berufsrechtlichen Pflichten und Aufsichtsmaßnahmen uneingeschränkt auf diese Personen zu übertragen (vgl. BTDrucks. 16/3655, S. 41, 43, 72; BT-Drucks. 17/14216, aaO; Senatsurteil vom 27. November 2019 - VIII ZR 285/18, aaO Rn. 173).“

Gleiche Tätigkeit gleich behandeln und gleich vergüten!

An der im Entwurf der Bundesregierung formulierten umfassenden (kosten-)rechtlichen Gleichbehandlung von Rechtsdienstleistern bzw. Inkassodienstleistern und Rechtsanwälten im Forderungseinzug ist festzuhalten. Eine direkte oder indirekte Ungleichbehandlung der wesentlich gleichen Tätigkeiten wäre klar verfassungswidrig.

IV | FAZIT

Dem Regierungsentwurf fehlt es gerade im Bereich des Kosten- und Gebührenrechts eklatant an der zwingend notwendigen Differenziertheit. Im Übrigen wird Verbraucherschutz in unzulässiger Weise mit Schuldnerschutz vermengt.

Der Regierungsentwurf bedroht nicht nur zahlreiche vor allem kleine und mittelgroße Inkassounternehmen existentiell. Darüber hinaus würde aufgrund der Radikalität der Gebührenreduzierung das etablierte und funktionierende System des Forderungseinzugs, insbesondere in dem für die Wirtschaft so wichtigen außergerichtlichen Bereich, ganz erheblich und auf mittlere Sicht irreparabel beschädigt.

Die Zahlungsmoral würde nachhaltig Schaden nehmen und Gläubiger müssten sich auf deutlich längere Verzugsdauern und einen erheblichen Anstieg der Zahlungsausfälle vorbereiten.

Es wäre illusorisch zu glauben, die Kosten dieser Entwicklung könnten allein in der Sphäre der Wirtschaft aufgefangen werden. Die Kosten schlechterer Zahlungsmoral und steigender Zahlungsausfälle würde sich in steigenden Konsumentenpreisen niederschlagen.

Am Ende werden also auch die Verbraucher, die ihren Zahlungsverpflichtungen in aller Regel gewissenhaft nachkommen, Leidtragende sein.

Nachdem die Bundesregierung gegenüber dem Referentenentwurf nur rechtssystematisch nachgebessert und so lediglich die rechtlichen Grundlagen für eine differenzierte Betrachtung des Regelungsgegenstandes geschaffen hat, ist es nun an den Abgeordneten im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die noch vorhandenen Unausgewogenheiten zu beseitigen.

Notwendig ist ein klareres Bekenntnis zum Verursacherprinzip im Schadensersatzrecht und zum Grundsatz der Naturalrestitution. Diesen unterminiert der Gesetzentwurf mittelbar, in dem er die erstattungsfähigen Kosten der Rechtsverfolgung (Inkassokosten) über die tatsächlichen Kosten der Leistungserbringung hinaus deckeln möchte.

Für den dann nicht länger erstattungsfähigen Teil der Rechtsverfolgungskosten müssten Gläubiger als geschädigte oder Inkassodienstleister dann aufkommen. Das kann nicht gerecht sein. Es muss gelten: Wer durch seinen Zahlungsverzug einen Schaden verursacht, der muss für diesen in voller Höhe einstehen. Das gilt auch für die Erstattungspflicht der entstandenen Rechtsverfolgungskosten.

Überhaupt muss der Gesetzgeber bei der Beurteilung der Höhe der notwendigen Rechtsverfolgungskosten argumentativ kohärent bleiben. Die willkürliche Gebührenreduzierung durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht bei gleichzeitiger Etablierung neuer kostenintensiver Pflichten steht in krassem Wertungswiderspruch zu den Befunden, die Grundlage des aktuell diskutierten und von breiter Mehrheit getragenen Kostenrechtsänderungsgesetzes sind:

Es ist unstrittig, dass die Sach- und Personalkosten, die mit der Erbringung qualifizierter Rechtsberatung einhergehen, seit der letzten Anpassung der Kostengesetze im Jahre 2013 rapide angestiegen sind.

Dass eine faire Vergütung der Inkassodienstleistung – unabhängig davon, ob sie von der Anwaltschaft oder von Rechtsdienstleistern erbracht wird – in Einklang zu bringen ist mit verbraucherpolitischen Zielen und sogar einem vernünftigen Maß an Schuldnerschutz, wurde in dieser Stellungnahme aufgezeigt.