Die wesentlichen Kritikpunkte aus der Perspektive der Inkassobranche sind:
- Klagebefugte Einrichtungen: Der Kreis der zur Verbandsklage befugten Einrichtungen ist viel zu weit gefasst. In den einzelnen Mitgliedstaaten könnte wahrscheinlich jede nicht auf Erwerb ausgerichtete Organisation als qualifizierte Einrichtung benannt werden. So können sich Firmen, Verbände und Interessengruppen beispielsweise dadurch einen Wettbewerbsvorteil sichern, dass sie sich Vereine zunutze machen, um in ihrem Sinne Sammelklagen zu erheben.
- Möglichkeit des Missbrauchs mit dem Ziel eines Vergleichs: Wenn unredliche Vereine oder sonstige Organisationen als qualifizierte Einrichtung anerkannt würden (angesichts der weit gefassten Voraussetzungen ist dies durchaus möglich), können sie Unternehmen oder sogar ganze Branchen zu Vergleichen bis hin zur Insolvenz zwingen.
- Möglichkeit des Missbrauchs zur Erpressung: Das Instrument der Sammelklage kann als Drohkulisse missbraucht werden: Die Androhung einer öffentlichkeitswirksamen Sammelklage ist geeignet, um Unternehmen oder ganze Branchen zu erpressen.
- Möglichkeit zur Klage ohne Mandat von Verbrauchern: Der Richtlinienvorschlag sieht die Möglichkeit vor, dass Verbände auch ohne Mandat von Verbrauchern Sammelklagen erheben können. Betroffene Verbraucher, die sich nicht an der Klage beteiligen, würden so an Gerichtsentscheidungen gebunden, ohne rechtliches Gehör zu erhalten. Hier stehen sowohl die teilweise Abschaffung der Privatautonomie als auch die gravierende Verletzung von Grundrechten zu befürchten.
- Einseitige Bindungswirkung rechtskräftiger Entscheidungen: Der Richtlinienvorschlag stellt lediglich die Auswirkungen der rechtskräftigen Entscheidungen dar, die zugunsten der Verbraucher ergehen. Eine rechtskräftige Entscheidung muss jedoch auch dann Bindungswirkung entfalten, wenn der Unternehmer obsiegt.
- Fehlende Clearing-Stelle: Es besteht die Gefahr, dass Unternehmen mehreren Sammelklagen gleichzeitig gegenüberstehen würden – möglicherweise sogar wegen identischer oder ähnlicher Sachverhalte. Es fehlt eine Clearing-Stelle auf EU-Ebene, die Verfahren überprüfen und ordnen könnte.
- Inkohärente Gesetzeslagen in den Mitgliedstaaten: Der kollektive Rechtsschutz muss in den einzelnen EU-Ländern entsprechend der vorhandenen Gesetzeslage geregelt werden. Die einzelnen Zivilprozessordnungen sind so unterschiedlich gestaltet, dass es kein einheitliches EU-Sammelverfahren geben kann.
- Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip: Durch Verbrauchersammelklagen auf der Ebene der EU würden ohne Not die Rechtsstrukturen auf der Ebene der Mitgliedstaaten umgangen. Dabei wären diese Einheiten mindestens ebenso gut geeignet, einen wirksamen Schutz von Verbraucherinteressen zu gewährleisten. Dies stellt einen klaren Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip dar.
Nach alldem sind aus Sicht des BDIU folgende Punkte zwingend zu beachten bzw. zu prüfen:
- Mandatierung durch Verbraucher: Verbrauchersammelklagen sollen nur aufgrund eines Mandats einer angemessen hohen Anzahl betroffener Verbraucher erhoben werden können.
- Klagebefugnis nur für öffentlich-rechtliche Stellen: Ausschließlich öffentlich-rechtliche Organisationen oder in öffentlichem Auftrag handelnde Organisationen können klagebefugt sein.
- Keine Zahlungen von Unternehmen an „gemeinnützige Zwecke“: Zahlungen von Unternehmen müssen immer den betroffenen Verbrauchern zugutekommen. Die Regelung, wonach bei „Streuschäden“ eine Zahlung des Unternehmens nicht an die geschädigten Verbraucher gehen, sondern einem öffentlichen Zweck zugutekommen soll, würde Fehlanreize für klagebefugte Verbände setzen, die dann möglicherweise selbst von den Zahlungen profitieren.
- Prüfung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips: Der deutsche Gesetzgeber sollte beizeiten vom politischen Instrument der Subsidiaritätsrüge Gebrauch machen, weil die Einführung von Verbrauchersammelklagen gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen würde.