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Die Ombudsfrau der Inkassowirtschaft: Brigitte Zypries im Interview

Seit April 2019 ist Brigitte Zypries Ombudsfrau des BDIU. Die ehemalige Wirtschafts- und Justizministerin tritt ein für Fairness und Respekt beim Forderungseinzug. Als Schlichterin vermittelt sie unbürokratische und einvernehmliche Lösungen, wenn es doch mal zu Streitigkeiten zwischen Inkassounternehmen und Verbraucherinnen und Verbrauchern kommt. Im Interview spricht sie unter anderem über den seit Oktober geltenden neuen Code of Conduct und warum eine bessere Finanzbildung ein Herzensthema für sie ist. Das Interview führte unser Mitgliedsunternehmen Collenda GmbH

Brigitte Zypries im Interview

BDIU-Ombudsfrau Brigitte Zypries im Gespräch (Foto: Harry Soremski)

Was ist Ihre Aufgabe als Ombudsfrau des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. konkret?

Brigitte Zypries: Die Motivation des BDIU, mich als Ombudsfrau zu wählen, war es, die eigenen Prozesse zu durchleuchten und transparenter zu machen, um die Qualität bei den eigenen Mitgliedsunternehmen zu erhöhen. Dafür haben wir einen Code of Conduct formuliert, ein Regelwerk also, an das sich alle Mitgliedsunternehmen künftig halten. Meine konkrete Aufgabe in dem Kontext ist die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Inkassounternehmen und Verbraucherinnen und Verbrauchern, die in der Regel von Schuldnerberatungsstellen vertreten werden.

Wie häufig sind solche Beschwerden?
Brigitte Zypries: Im Jahr 2020 haben sich 1.071 Verbraucherinnen und Verbraucher mit Beschwerden an die Geschäftsstelle des BDIU gewandt. Ich war, ehrlich gesagt, überrascht, dass das in Relation zu allen Inkassofällen verhältnismäßig wenig Fälle waren.

Gibt es Streitigkeiten, die besonders häufig auf Ihrem Tisch liegen?
Brigitte Zypries: Wir führen dazu eine Beschwerdestatistik. Dieser Statistik zufolge haben sich 31 Prozent der Beschwerden gegen die Hauptforderung selbst gerichtet; 22 Prozent betrafen die Inkassokosten; danach folgten Beschwerden gegen das Verfahren, die Fallbearbeitung durch das Inkassounternehmen oder die Kommunikation. 7 Prozent der Beschwerden gingen ein wegen Identitätsdiebstahls oder Personenverwechslungen, und 6 Prozent der Fälle betrafen das Thema Datenschutz.

Haben Sie ein typisches Beispiel für eine Streitigkeit, die Sie beilegen konnten?
Brigitte Zypries: Wir hatten einen Fall, in dem eine Verbraucherin zehn Jahre lang monatlich zehn Euro Gebühren an ein Inkassounternehmen gezahlt hat, die Hauptforderung von 2.300 Euro aufgrund der hohen Zinsen von 13 Prozent aber nicht geringer wurde. Die Frau – nicht wohlhabend – hat also zweifellos dokumentiert, dass sie zahlungswillig ist. In diesem Fall habe ich eingegriffen. Und das Unternehmen war dann auch sehr schnell zu einer Einigung zugunsten der Schuldnerin bereit. Die Problematik war aufgrund einer Automatisierung des Verfahrens beim Inkassounternehmen gar nicht erst aufgefallen.

Mussten Sie Inkassodienstleistern in Ihrer Amtszeit schon eine Rüge für Fehlverhalten aussprechen?
Brigitte Zypries: Ja, auch hier gab es einen konkreten Fall, in dem es um die Übernahme von Forderungen ging, die nicht auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft worden waren. Der Betroffene Inkassodienstleister hatte Forderungen eines vermeintlichen Kreditkarten-Anbieters übernommen. Dieser Kreditkartenanbieter hatte seine Kundinnen und Kunden jedoch getäuscht und anstelle von Kreditkarten Guthabenkarten ausgegeben, auf die nur Geld eingezahlt werden konnte. An der Stelle habe ich dann gesagt, das Inkassounternehmen muss sich genau anschauen, welche Art von Forderungen es übernimmt, und eine Rüge ausgesprochen. Der Inkassodienstleister hat sich da sehr kooperativ und einsichtig gezeigt.

Zielt der Code of Conduct auf Fälle wie diese ab?
Brigitte Zypries: Ja, genau. Der Code of Conduct ist am 1. Oktober 2021 in Kraft getreten – zusammen mit dem neuen Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht. Über das Gesetz hinaus definiert der Code of Conduct konkrete Vorgaben und verbraucherpolitische Erwartungen an seriöse Inkassodienstleistungen.

Können Sie die wichtigsten Punkte des Codes herausgreifen und erklären?
Brigitte Zypries: Der Code of Conduct wurde im September 2020 von den Mitgliedern des BDIU einstimmig beschlossen. Das Wichtigste ist die Übersetzung der schwierigen Gesetzessprache in eine einfache Sprache, damit die Menschen verstehen, was das Gesetz vorschreibt. Es gibt spezielle Vorschriften zum Thema faire Kommunikation mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern, über Transparenz oder auch über das Verbot, bestimmte Drohungen auszusprechen: zum Beispiel die Androhung einer Zwangsvollstreckung, obwohl diese aufgrund eines fehlenden Titels noch gar nicht möglich ist. Ein Ziel ist auch, die Justiz zu entlasten, indem Streitigkeiten bereits im Vorfeld geklärt werden.

Setzen die Unternehmen das bereits um?
Brigitte Zypries: Ja, alle Unternehmen des BDIU haben sich darauf verständigt, es gab eine große Bereitschaft mitzuwirken. Und ich muss auch sagen: Ich finde das gut und auch nicht selbstverständlich, dass eine Branche das so geschlossen macht.

Ist der Fahrplan der Umsetzung völlig klar?
Brigitte Zypries: Es gab Informationsmaterial der Geschäftsstelle, wie man den Code of Conduct zu verstehen hat, und Schulungen für Mitarbeitende, welche Probleme auftreten können. Für November 2021 habe ich die Verbraucher- und Schuldnerberatungsstellen zu einem runden Tisch eingeladen, um gemeinsam erste Erfahrungswerte zu besprechen. Gegebenenfalls können wir in der Diskussion noch weitere Punkte identifizieren.

Ist das Inkassorecht zu kompliziert?
Brigitte Zypries: Die Rechtssprache ist insgesamt recht kompliziert und eine Sprache für Fachleute. Sie hat ihre eigenen Termini und das ist auch richtig und gut so, damit sich Expertinnen und Experten trennscharf unterhalten können. Für Menschen, die das nicht gelernt haben, ist es natürlich schwierig, diese Sprache zu verstehen. Von daher wäre es auch im Inkassorecht gut, wenn es einfacher dargestellt würde.

Wie schwierig war es, alle dem BDIU angeschlossenen Unternehmen mit in ein Boot zu holen?
Brigitte Zypries: Alle Unternehmen des BDIU haben mitgemacht. Kirsten Pedd als Vorsitzende und auch das Präsidium insgesamt  haben allerdings eine Menge Arbeit investiert, um die Mitgliedsunternehmen zu überzeugen, dass der Weg, einen Code of Conduct zu installieren, der richtige ist.

Wie genau gehen Sie vor, wenn es zu einer Beschwerde kommt?
Brigitte Zypries: Bei Beschwerden betrachte ich natürlich zunächst einmal das einschlägige Bürgerliche Recht und den Code of Conduct. Auf Basis dieser beiden Parameter, zusammen mit dem gesunden Menschenverstand und einem entsprechenden Rechtsgefühl, treffe ich die Entscheidung.

Gibt es auch Situationen, in denen Sie das Fehlverhalten bei der Schuldnerin oder dem Schuldner sehen?
Brigitte Zypries: Wenn Gläubiger und Inkassodienstleister fair und nach Recht und Gesetz agieren, liegt die Ursache für das Inkassoverfahren bei der Schuldnerin oder dem Schuldner. Das liegt in der Natur der Inkassodienstleistung. Ich verstehe natürlich, dass Schuldnerinnen und Schuldner sich in diesen Fällen trotzdem über zusätzliche Kosten und Unannehmlichkeiten ärgern. Wer Rechnungen nicht bezahlt, verursacht aber nun einmal Kosten. Und für diese Kosten kann nur der Verursacher aufkommen. Das ist ein Grundsatz, den ich für fair und richtig halte.

Sie sind im April 2019 gestartet, ein Jahr später gab es eine Zäsur durch die Pandemie.
Brigitte Zypries: Es gab zum einen die Pandemie, die die Menschen vor Schwierigkeiten gestellt hat, zum anderen aber auch die Flutkatastrophe in der Eifel, die viele Familien finanziell getroffen hat. Der BDIU hat seine Mitgliedsunternehmen gleich zu Beginn zu größtmöglicher Kulanz aufgerufen. Und ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass sich die Mitgliedsunternehmen an diese Vorgabe gehalten haben. Es gab viel Verständnis, und es sind keine unnötigen Verfahren in Gang gesetzt worden. Zudem wurden betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern langfristige Ratenzahlungspläne oder Stundungen angeboten. Das hat gut funktioniert. Für Unternehmen hatte der Bundesgesetzgeber in der Pandemie ja ohnehin die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt.

Wie ist denn diesbezüglich Ihre Prognose, droht weiteres Ungemach als Nachwirkung der Pandemie?
Brigitte Zypries: Das glaube ich nicht, wir haben eine sehr gute Arbeitsmarktsituation. Jeder, der will und kann, hat derzeit die Möglichkeit, eine Stelle zu finden. Insbesondere im Niedriglohnbereich gibt es viele offene Stellen: zum Beispiel im Gastgewerbe, Lastwagenfahrer werden händeringend gesucht. Die Inflation spielt den Schuldnerinnen und Schuldnern außerdem in die Hände, wenn Sie so wollen, weil deren Schulden geringer werden.

Gibt es aus Ihrer Sicht Maßnahmen, die ergriffen werden könnten, bevor es zur Inkassosituation kommt?
Brigitte Zypries: Ein ganz entscheidender Punkt ist die Finanzbildung. Wir müssen diesbezüglich in Deutschland sehr viel besser werden, das Thema in Schulen anbieten und Kindern erklären, wie man mit Geld umgehen sollte. Dass es also sinnvoll ist, nur einen Handyvertrag abzuschließen und nicht vier oder fünf. Man muss den jungen Menschen das Prinzip von Einnahmen und Ausgaben erklären, damit sie als junge Erwachsene wissen, wie viel Prozent des Einkommens sie für beispielsweise für die Finanzierung eines Autos ausgeben können. Es gibt im Grunde genommen keinen Ort, wo so etwas gelernt wird. Gerade verbessert sich die Situation etwas, weil es viele Start-ups gibt, die sich um das Thema kümmern, oder auch Frauen, die sich des Themas Finanzbildung für Frauen annehmen. Es gibt auch Ideen, Ähnliches für Schülerinnen und Schüler zu entwickeln.

Was kann man tun, wenn eine Verschuldung schon eingetreten ist?
Brigitte Zypries: In solch einer Situation dürfen Schuldnerinnen und Schuldner den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müssen in die Offensive gehen und eine Schuldner- oder Verbraucherberatung konsultieren. Dort können Betroffene ihre Rechnungen vorlegen und mit Expertenhilfe prüfen, ob eine Ratenzahlung möglich ist, oder vielleicht eine Vereinbarung mit dem Unternehmen, das gegebenenfalls einen Teil der Schulden erlässt.

Möchten Sie von Ihrer Seite noch etwas hinzufügen?
Brigitte Zypries: Mir ist wichtig, noch einmal drauf hinzuweisen, dass es für alle Menschen in der Gesellschaft wichtig ist, sich mit der Frage zu befassen: Wie viel Geld habe ich? Wie viel Geld kann ich ausgeben? Was passiert, wenn ich Rechnungen nicht bezahle? Hier müssen wir noch bessere Angebote machen, in den Schulen, in Kursen an den Volkshochschulen und Tutorials im Netz.